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Zur Person des Nikolaus von Kues

Nikolaus von Kues

1. Die frühen Jahre (1401-1432)

Die Startbedingungen für die kometenhafte Karriere des 1401 in Kues an der Mosel geborenen Nikolaus von Kues waren durchaus nicht schlecht.  Der Vater Henne Cryfftz war ein wohlhabender Schiffseigner und hatte offenbar mit dem Moselhandel ein beträchtliches Vermögen verdient. Man konnte es sich leisten, den sich offenbar früh begabt zeigenden Niklas zum Studium nach Heidelberg zu schicken, die Immatrikulation hier im Jahre 1416 ist die erste Lebensspur des Cusanus (AC I 1 Nr. 11).  Kurz danach führte der Weg weiter nach Italien an die Universität des venezianisch besetzten Padua (s. AC I 1 Nr. 15).  Die Chancen, durch eine akademische Ausbildung Karriere zu machen, waren in dieser Generation auf einem maximalen Level angelangt. Landesausbau und Kirchenstreit führten vielerorts zu einem immensen Bedarf an gelehrter Expertise, besonders im römischen Recht. Nikolaus von Kues hatte aber schon früh die Klerikerlaufbahn fest im Blick und entschied sich für das etwas weniger lukrative Kirchenrecht. Er ließ sich auch nicht als doctor utriusque iuris ausbilden, wie so viele Zeitgenossen. Stattdessen vertiefte er seine Kenntnisse schon früh in theologischer und philosophischer Richtung und las Werke von Ramon Llull und Meister Eckhart (s. AC I 1 Nr. 59, 60).

In Italien knüpfte Nikolaus Kontakte zu den Humanisten, die er auch nach seinem Abschluss als doctor decretorum 1423 von Deutschland aus weiterpflegte. Für die Italiener war Nicolaus Treverensis, wie er zunächst genannt wurde, ein wertvoller Textlieferant, der in Kloster- und Dombibliotheken so manchen unbekannten Klassiker zu Tage förderte und so der humanistischen Elite verfügbar machte (s. AC I 1 Nr. 34f., 48, 62f., 66f., 70, 73).  Spätestens ab 1427 stand er als Sekretär und Kurienprokurator im Dienst des Trierer Erzbischofs Otto von Ziegenhain (AC I 1 Nr. 40).  Als dieser 1430 starb, trat Cusanus unumwunden in die Dienste seines designierten Nachfolgers Ulrich von Manderscheid, der seine Ansprüche auf das Erzbistum allerdings gegen den Speyerer Bischof Raban von Helmstadt durchsetzen musste. 

Dieser Bistumsstreit gab dem jungen Juristen Gelegenheit sich zu bewähren, zunächst als Verfasser von Streitschriften und Consilia, dann als Gesandter zum großen Konzil, das seit 1431 in Basel tagte.

2. Auf dem Basler Konzil (1432-1437)

Das Basler Konzil war das ideale Karrieresprungbrett für junge Kleriker, der beste Ort, um Kontakte zu knüpfen und sich vor der europäischen Prominenz als herausragende Gelehrte zu präsentierten.  Nikolaus von Kues nutzte diese Chance, sich als Jurist zu profilieren, und trat mehrmals als Anwalt in Erscheinung. Seine Initiativen gingen weit über die erfolglosen Bemühungen im Trierer Bistumsstreit hinaus und umfassten alle bedeutenden Themen, die auf der Agenda des Konzils standen, allen voran die Frage der Rückführung der Hussiten in die katholische Kirche. Als zu diesem Zweck in Basel Anfang 1433 monumentale, paarig angeordnete Disputationen zwischen Vertretern der Hussiten und der Konzilstheologen stattfanden, stand Cusanus zwar nicht auf der Rednerliste; er glossierte aber die Rede des Johannes von Rockyzana zum Laienkelch und trat ansonsten als Unterhändler hervor (s. AC I 1 Nr. 166).  Erst in den 1450er Jahren war er als ausgewiesener Hussitenexperte europaweit anerkannt. 

Auch zu Fragen der Kirchenreform meldete sich Cusanus zu Wort. Sein Entwurf zu einer umfassenden Kalenderreform wurde 1436/37 diskutiert und verworfen (s. AC I 1 Nr. 289, 291). Sein universaler Rundumschlag zu einer Kirchen- und Reichsreform auf allen Eben, die berühmte ‚Concordantia catholica‘, erreichte erst wirklich weite Verbreitung, als Nikolaus schon längst die Seiten gewechselt hatte und seine Gegner Versatzstücke aus dieser im Grundtenor konziliaristischen Schrift gegen ihn verwandten.

Dieser Wechsel vom Konzil ins gegnerische Lager erschien schon den Zeitgenossen als große Bruchstelle in der Lebensgeschichte. Vorwürfe des Verrats und des Opportunismus begleiteten diese Entscheidung, welche freilich aus der inneren Dynamik der politischen und dogmatischen Entwicklung herrührte. Zusammen mit der papsttreuen Minderheitspartei verließ Cusanus das Konzil und vertrat von nun an die päpstlichen Interessen, bald auch im offenen Kampf gegen die einstigen Konzilskollegen.

3. In päpstlichen Diensten: Konstantinopel-Mission und Reichstage (1437-1446)

Als im Juli 1437 eine päpstliche Flotte nach Konstantinopel aufbrach, um die Vertreter der griechischen Kirche zum Unionskonzil abzuholen, war auch Cusanus an Bord. Kurze Zeit später segelte auch eine Konzilsflotte zum gleichen Zweck an den Bosporus. Die Konkurrenzsituation zwischen Konzil und Papst führte auch in Konstantinopel zum offenen Streit, der byzantinische Kaiser wurde zum Schiedsrichter. Wie vor dem Konzil und später vor den Reichstagen lieferten sich die abendländischen Gelehrten Schaudebatten um die wahre Repräsentation der lateinischen Kirche. Nikolaus von Kues war noch nicht in die erste Reihe der Verhandlungsführer aufgerückt. Erst als strittige Details des Geschehens auf dem Basler Konzil zur Sprache kamen, trat er als Augenzeuge und Aktenkundiger auf (s. AC I 2 Nr. 329).  Vor allem nutzte er die Wochen in Konstantinopel aber, um sich mit griechischen Handschriften zu versorgen, darunter auch Texte der alten Konzilien, welche bei den anstehenden Diskussionen mit den Griechen wichtig werden konnten (s. AC I 2 Nr. 333). 

Dennoch nahm er an dem nun in Ferrara anstehenden Unionskonzil nicht teil, sondern wurde nach dem erfolgreichen Ende der Konstantinopel-Mission umgehend nach Deutschland geschickt.  Erst jetzt zeichnete sich der endgültige Karrieredurchbruch ab. Die ab 1438 in kurzer Folge stattfindenden Reichstage wurden zum entscheidenden Schlachtfeld im Kirchenstreit. Das Ziel, die deutschen Fürsten von ihrer neutralen Haltung abzubringen, wurde für beide Seiten, Konzil und Papst, zur wichtigsten Aufgabe. Cusanus gelang es durch Expertise und emsige Präsenz, sich in der vordersten Linie europäischer Politik festzusetzen. Er war das päpstliche Gesicht in Deutschland und wurde auch von Konzilsanhängern als Hauptfeind wahrgenommen.

In monumentalen Redeschlachten prallten die unvereinbaren Positionen beider Seiten aufeinander. Ihren Höhepunkt erreichte die akademische Schaudebatte im Sommer 1442 in Frankfurt, als Cusanus gegen den berühmtesten Kanonisten seiner Zeit antrat: Niccolò Tedeschi, den Panormitanus (s. AC I 2 Nr. 517-527)

Der entscheidende Durchbruch gelang auf dem Frankfurter Reichstag im September/Oktober 1446, als Cusanus zusammen mit Juan Carvajal und Tommaso Parentucelli die deutschen Fürsten von ihrer neutralen Haltung abbringen konnte (s. AC I 2 Nr. 705-719).  Eugen IV. ernannte daraufhin seine drei wichtigsten Vertreter zu Kardinälen (s. AC I 2 Nr. 727). Als dieser 1447 starb, wurde mit Tommaso Parentucelli ein alter Humanistenfreund des Cusanus zum Papst gewählt, der seine Kardinalsernennung umgehend publizierte (s. AC I 2 Nr. 784). Mit der Ernennung zum Bischof von Brixen schien die Karriere des bürgerlichen Aufsteigers einen glanzvollen Höhepunkt gefunden zu haben.  Bevor er seine Herrschaft in Brixen antrat, ließ er sich vom neuen Papst Nikolaus V. auf eine große Legationsreise quer durch Deutschland schicken, um das vom Konzil begonnene große Reformwerk nun von oben herab zu verwirklichen.

4. Die Legationsreise (1451/52)

Zwischen Januar 1451 und April 1452 reiste Nikolaus von Kues als päpstlicher Legat durch das deutsche Reich.  Vordergründiges Ziel der Legation war die Verkündung des Jubiläumsablasses des Jahres 1450 inklusive Sammlung der Ablassgelder. Die Vollmachten des Legaten reichten jedoch weiter. Eine umfassende Reform des christlichen Lebens in partibus stand auf dem Programm. Die weitverzweigte Quellenlage erlaubt sensationell detaillierte Einblicke in nahezu alle Felder von Kirche, Reform, Diplomatie wie Frömmigkeitspraxis des Spätmittelalters: vom Ablass bis zu blutenden Hostien, von der Kennzeichnungspflicht der Juden bis zur Ausgangssperre von Nonnen, von Priesterkonkubinen bis zu Fragen der Pfarrinkorporation etc. (s. AC I 3a und 3b).

Im Gepäck hatte Nikolaus von Kues eine Serie von fertig ausgearbeiteten Reformdekreten, die er nach und nach auf regionalen Synoden verkünden ließ. Ihre weite Überlieferung und häufige Wiederaufnahme in der lokalen Gesetzgebung zeugen von jahrzehntelangen Nachwirkungen, auch wenn viele Initiativen nach dem Weiterzug des Kardinals versandeten.

5. Bischof von Brixen 1452-58/60

Zu Ostern 1452 zog der Kardinal in seinem Bistum Brixen ein (s. AC II 1 Nr. 2461).  Die Legationsreise endete erst ein knappes Jahr später mit dem Einzug in Rom (s. AC II 1 Nr. 3151). Und in der Tat kann die Zeit der Regierungsübernahme als eine intensivierte Fortsetzung der Legation verstanden werden, denn der neue Bischof tat nichts anderes als im Jahr zuvor in den einzelnen Diözesen des Reiches: Er predigte, verteilte unzählige Ablassprivilegien, reformierte. Als durchreisender Legat hatte er jeweils nur normative Impulse setzen können und musste die effektive Umsetzung vor Ort den Bischöfen überlassen. In Brixen jedoch übernahm er selbst diese Rolle. Hier konnte er zeigen, wie er sich die verantwortungsvolle Leitung einer Diözese vorstellte. Den normativen Handlungsrahmen hatte der Kardinal bereits zu Beginn seiner Legationsreise auf einer Salzburger Metropolitansynode gesetzt (AC I 3a, Nr. 1009, 1017). Jetzt kam es darauf an, die Regeln konkret umzusetzen, wie es der Kardinal selbst von jedem Bischof erwartete.

Die Voraussetzungen, aus seiner kleinen Bergdiözese ein musterhaftes Reformbistum zu machen, waren nicht ideal. Die Brixener Bischöfe standen traditionell stark unter dem Einfluss der Grafen von Tirol und der Herzöge von Österreich. Nikolaus von Kues hatte sein Amt gegen die Widerstände des jungen Sigismund von Tirol erlangt, der einen eigenen Kandidaten für den Brixener Stuhl vorgesehen hatte. Die Beziehungen zum Landesherrn waren jedoch nicht von vornherein vergiftet. In den ersten Jahren suchten Bischof und Herzog durchaus nach politischen Arrangements. Nikolaus von Kues schloss mit dem Herzog ein Beistandsabkommen (AC II 2 Nr. 3788), vertrat den Herzog auf dem Regensburger Reichstag 1454 (AC II 2 Nr. 3938) und setzte dessen Münzordnungen anstandslos in seinem Hochstift um (AC II 2 Nr. Nr. 3679f.). 

Die von Nikolaus von Kues verfolgten Pläne zur Wiederherstellung der Rechte des Hochstifts und Umsetzung der Kirchenreform vor Ort enthielten jedoch erheblichen Konfliktstoff mit dem Herzog. Bereits als junger Jurist war Nikolaus von Kues durch eine singuläre rechtshistorische Recherchekompetenz hervorgetreten. Konsequenterweise ging er nun als Bischof von Brixen zügig an das Aktenstudium und recherchierte die Besitzstände und Ansprüche seines Hochstifts. Er ließ sich beglaubigte Kopien verlorener Urkunden ausstellen, forderte Liegenschaften ein, die bereits vor Generationen verpfändet worden waren, und machte jahrhundertealte Schürfrechte geltend (s. AC II 1 Nr. 2940).  Dabei wandte er durchaus Methoden der historisch-kritischen Interpretation von Rechtsdokumenten an und entlarvte Anachronismen und Fälschungen (s. AC II 1 Nr. 2971). Seine systematisch-dogmatische Rekonstruktion der bis ins Hochmittelalter zurückreichenden Rechtszustände ging jedoch an den gewachsenen politischen Realitäten und persönlichen Loyalitätsstrukturen seiner Zeit vorbei. 

Auch auf dem Feld der Kirchenreform entspann sich bald ein erheblicher Konfliktstoff mit Herzog Sigismund. Größte Berühmtheit erlangte der Dauerkonflikt mit der unbeugsamen Äbtissin Verena, der auch bald den Herzog als Schutzvogt des Klosters auf den Plan rief.  Das zur Brixener Diözese gehörende Benediktinerinnenstift war seit seiner Gründung im 11. Jahrhundert nie ein Ort strenger Klosterzucht gewesen, sondern fungierte traditionell vor allem als Option zur standesgemäßen Unterbringung der unverheiratet gebliebenen Töchter des lokalen Adels. Die Äbtissin verwaltete selbstbewusst umfangreiche Ländereien im Pustertal und darüber hinaus und trug seit langem einen erbitterten Konflikt mit den Bauern der Gemeinde Enneberg um Weiderechte aus. Eine Anwendung der Benediktsregel à la lettre und Umsetzung der Reformstatuten zur Nonnenklausur, wie der Kardinal sie unmittelbar nach seiner Ankunft einforderte, war nicht mit ihrem durch lange Gewohnheit legitimierten Lebensentwurf vereinbar. Es folgten zähe Verhandlungen, an denen jeweils auch die Räte des Herzogs beteiligt waren, und mehrere Visitationsversuche durch reformierte Benediktinermönche. Der Konflikt eskalierte schließlich, als die Äbtissin eine Söldnertruppe nach Enneberg schickte, welche jedoch in einen Hinterhalt geriet und aufgerieben wurde. Die Beteiligung des Bischofs an dieser „Schlacht im Enneberg“ ist wahrscheinlich, wurden doch die siegreichen Truppen von seinem treuen Hauptmann von Buchenstein Gabriel Prack geführt. Cusanus gelang es, die Absetzung der widerspenstigen Äbtissin durchzusetzen, eine strenge Klosterzucht setzte aber auch danach nicht in Sonnenburg ein.

Weitere Reforminitiativen betrafen das unmittelbare Herrschaftsgebiet Herzog Sigismunds. Die Reform der Benediktinerabtei St. Georgenberg blieb trotz des Engagements des Tegernseer Priors Bernhard von Waging erfolglos (s. AC II 2 Nr. 3923). Das Wiltener Prämonstratenserstift wurde aus der bayrisch-schwäbischen Ordensprovinz gelöst und der sächsischen Zikarie unterstellt und bekam mit dem Magdeburger Chorherren Eberhard Woltmann einen engagierten Reformer als Propst (AC II 2 Nr. 3936).  Den Abt des Tiroler Hausklosters Stams exkommunizierte der Kardinal 1457 wegen der Nichtteilnahme an Diözesansynoden. 

Konsequent am kanonischen Recht orientierter Reformeifer prallte auf lange gewachsene lokale Gewohnheiten und Traditionen. Nikolaus von Kues schränkte die Wallfahrten ein, reduzierte die Zahl der Feiertage, verschärfte die Fastenvorschriften, verbot Würfel- und Kartenspiele und Tanzvergnügungen und schränkte die Jagd ein. Vor allem das Verbot des Waffentragens bei Kirchtagen 1455 griff direkt in die angestammten Rechte des lokalen Adels ein. Der einflussreiche Ritter Kaspar von Gufidaun, dessen ererbtes Privileg der Kirchtagshut damit entwertet wurde, betrachtete dies als offenen Affront und stand fortan seinem Bischof ebenso feindselig gegenüber wie die Freundsberger, Wolkensteiner und andere.

Im Sommer 1457 veranlassten Gerüchte über einen von einem feindseligen Adligen geplanten und möglicherweise von Herzog Sigismund gedeckten Mordanschlag den Kardinal zur Flucht in die 1750m hoch in den Dolomiten gelegene Burg Buchenstein. Hier blieb er bis zum September 1458, als ihn die Wahl seines alten Weggefährten Enea Silvio Piccolomini zum Papst veranlasste, nach Rom zu ziehen.

Anfang 1460 kehrte Nikolaus von Kues noch einmal in sein Bistum zurück und hielt in Bruneck eine Klerusversammlung ab. Der Herzog zog daraufhin Truppen zusammen und ließ Stadt und Burg beschießen. Der militärisch hoffnungslos unterlegene Kardinal kapitulierte und unterschrieb bedingungslos alle Forderungen Sigismunds. Unmittelbar danach verließ er seine Diözese und kehrte nach Italien zurück. Es folgte ein erbitterter Traktatkrieg mit den Räten des Herzogs, vor allem dem Juristen Gregor Heimburg. Der Konflikt, der die Diözese jahrelang unter das Interdikt stellte, wurde erst kurz vor dem Tod des Kardinals formell beigelegt. 

6. Die letzten Jahre (1458/60-1464)

An der römischen Kurie, im Zentrum der kirchlichen Hierarchie und in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Papst durfte sich Nikolaus von Kues am ehesten Hoffnungen machen, effektive Impulse für eine universelle Reform der Kirche setzen zu können. Bereits im Herbst 1458 war er Mitglied einer Reformkommission, die der neugewählte Papst Pius II., getreu seiner Wahlkapitulation, unmittelbar einberufen hatte.  Als der Papst zum Fürstenkongress nach Mantua aufbrach, um dem großen Ziel seines Pontifikats, dem Türkenkreuzzug, näherzukommen, ernannte er im Januar 1459 Nikolaus von Kues zum ‚legatus urbis‘, seinem Stellvertreter in weltlichen Angelegenheiten.  Der Kardinal war nun für die Ruhe und Ordnung in der Stadt verantwortlich, hatte zwischen rivalisierenden Adelsfraktionen zu vermitteln und musste eine Eskalation des neapolitanischen Erbfolgestreits zwischen den Häusern Aragon und Anjou vermeiden. Zusätzlich zum kleinteiligen Management der Kurienpolitik ließ er sich, als erster ‚legatus urbis‘ überhaupt, auch das Mandat zur Reform des römischen Klerus und der vier Hauptkirchen übertragen. Eine auf den 10. Februar 1459 einberufene römische Reformsynode und Visitationspredigten in S. Pietro, S. Giovanni in Laterano und S. Maria Maggiore zeugen von der tatkräftigen Umsetzung dieses Unternehmens.  Wohl in dieser Zeit entstand auch die berühmte ‚Reformatio generalis‘, die einen umfassenden Plan zur allgemeinen Reform der Kirche und des christlichen Lebens, ausgehend vom Papst, den Kardinälen und kurialen Behörden, enthält.  Auch in den folgenden Jahren nahm er engsten Anteil an der Politik Pius II., in dessen Palast er wohnte.  Als ärmster aller Kardinäle – die Einkünfte aus Brixen wurden von Sigismund blockiert – verzichtete er demonstrativ auf standesgemäßen Luxus.  Gichtgeplagt zog er sich im Hochsommer regelmäßig in die kühlen Berge Umbriens nach Orvieto zurück, nicht ohne auch hier eine umfassende Reform des Klerus und der Hospitäler der Stadt in Angriff zu nehmen.  Auch dieser letzte Versuch der Verwirklichung eines von Auswüchsen eingefahrener Gewohnheiten und Sonderprivilegien gereinigte Ortes christlichen Lebens blieb im Widerstand regionaler Autoritäten stecken.

Im Juli 1464 brach Nikolaus von Kues zu seiner letzten Mission auf. Im Auftrag des Papstes sollte er Teile des aus ganz Europa zusammenströmenden Kreuzfahrerheeres aufsammeln und zum Flottentreffpunkt nach Ancona geleiten. Auf halber Strecke, in den umbrischen Bergen, ergriff ihn das Fieber. Am 11. August 1464 starb Nikolaus von Kues in Todi.

Der Text basiert auf: Thomas Woelki, „Nikolaus von Kues (1401-1464). Grundzüge seiner Lebensgeschichte“, in: Das Mittelalter 19, 1 (2014), S. 15-33.


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