Geschichte der Edition ‚Acta Cusana‘
Das Interesse an den Dokumenten zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues reicht weit zurück. Es ist untrennbar verbunden mit der im 19. Jahrhundert neu beginnenden Rezeption der philosophischen und theologischen Werke des Mittelalters, darunter prominent derer des Cusanus. Bereits Franz Anton Scharpff (1809-1879), der 1829 einen von der Tübinger Universität zu Cusanus ausgeschrieben Preis gewann, sammelte umfangreiches biographisches Material, welches er 1843 zu einer ersten wissenschaftlichen Cusanus-Biographie zusammenfügte. Edmond Vansteenberghe sammelte dann systematisch etwa 220 Briefe zum Leben des Nikolaus von Kues. So enthielt das vom Neokantianismus der Marburger Schule, vor allem von Hermann Cohen (1842-1918) und seinem Schüler Ernst Cassirer (1874-1945), dann von den Heidelberger Philosophen Ernst Hoffmann und Raymond Klibansky ins Leben gerufene Projekt einer kritische Gesamtausgabe der Werke des Nikolaus von Kues sehr früh auch den Plan einer eigenen Sammlung von Briefen und Dokumenten.
Das 1928/29 von Klibansky vorgestellte Editionsprogramm der Opera omnia sieht u.a. eine Briefsammlung und eine Dokumentensammlung in Regestform bzw., für die wichtigeren Stücke, als Vollabdruck vor. Mit der Herausgabe der Briefe wurde der Kölner Theologe Josef Koch beauftragt. Zwischen 1944 und 1956 erschienen in der neu gegründeten Reihe IV der ‚Cusanus-Texte‘ (‚Briefwechsel‘) insgesamt vier Hefte mit bislang unveröffentlichten Briefen von und an Nikolaus von Kues (Briefwechsel 1944-1956). Aufgenommen wurden nun auch Urkunden in Briefform und die Korrespondenz Dritter, in der Cusanus eine Rolle spielt. Daneben stellte Koch umfangreiches Material aus Archiven und Bibliotheken zusammen, welches zunächst zur Kommentierung der Briefe dienen sollte, sich jedoch bald zu einer eigenen Dokumentation der Lebensgeschichte des Cusanus auswuchs und in eine richtungweisende Monographie zur „Umwelt“ des Nikolaus von Kues mündete. Für die systematische Ordnung, Verkartung und Erweiterung des Archivmaterials konnte Koch zwei vielversprechende Schüler gewinnen. Ab 1950 bearbeitete Hermann Hallauer vor allem die Südtiroler Quellenbestände, ab 1954 war Erich Meuthen zunächst mit den späten Jahren des Nikolaus von Kues und den italienischen Materialien betraut. Die ersten Früchte der Sammlung stellten die Forschungen zur Lebensgeschichte des Cusanus auf eine neue Basis. Hermann Hallauer legte mehrere wichtige, oft mit ersten Akteneditionen versehene Studien vor; Erich Meuthens Quellenfunde zum Trierer Bistumsstreit, der maßgeblich von Cusanus als Parteivertreter geführt wurde, und zu den letzten Jahren des Nikolaus von Kues in Italien kulminierten in vielbeachteten Monographien. 1961 schlugen Meuthen und Hallauer der für die Opera omnia federführenden Cusanus-Kommission der Heidelberger Akademie der Wissenschaften das Konzept der Acta Cusana vor. Es wurde angenommen, gefördert nicht zuletzt vom engagierten Interesse Hans-Georg Gadamers.
Die Einteilung des Werkes erfolgte anhand der Lebensabschnitte des Nikolaus von Kues. Der bereits bearbeitete Band I umfasst die Jahre 1401 bis 1452, als Nikolaus von Kues auf dem Basler Konzil und im päpstlichen Dienst Karriere machte und 1451/52 in einer großen Legationsreise durch das Deutsche Reich das großangelegte Projekt einer Reform des christlichen Lebens betrieb (Lieferung 3a und b). Band II umfasst die Jahre 1452 bis 1458, in denen Cusanus als Bischof von Brixen versuchte, seine reformerischen Vorstellungen in seiner Diözese umzusetzen und gleichzeitig immer wieder Impulse für die Reichs- und Kurienpolitik setzte. Der künftige dritte Band wird die Jahre 1458 bis zum Tod des Kardinals 1464 dokumentieren, der sich nun dauerhaft in Italien aufhielt und an der Seite Papst Pius’ II. zu einem wichtigen Akteur der Kurienpolitik wurde. Band I und III sollte damals Erich Meuthen als hauptverantwortlicher Editor bearbeiten, während die Fertigstellung von Band II vornehmlich in den Händen Hermann Hallauers lag.
Während Band I in den Jahren 1976 bis 2000 in vier gewichtigen Teillieferungen erscheinen konnte (insgesamt 1814 Seiten), blieben Band II und III zunächst unvollendet. Als sich immer deutlicher abzeichnete, dass zunächst Erich Meuthen, dann auch Hermann Hallauer alters- und krankheitsbedingt das Projekt nicht mehr selbst zum Abschluss bringen konnten, beauftragte die Cusanus-Kommission der Heidelberger Akademie der Wissenschaften unter Vermittlung Meuthens und Hallauers Johannes Helmrath mit der Fortführung des Unternehmens. Faktisch waren die Acta Cusana bis dahin ein gelehrtes Privatunternehmen der Historiker Meuthen und Hallauer gewesen, die in ihrer Freizeit bzw. nach ihrer Pensionierung unentgeltlich und ohne personelle Unterstützung daran arbeiteten und auch ihre Reisen sowie das – jetzt zum größten Teil in Berlin archivierte – Film- und Kopienmaterial selbst bezahlten. Die Heidelberger Akademie gab dem Unternehmen den Rahmen, finanzierte es aber, anders als die Opera omnia, nicht. Mittlerweile hat sich die Akademie, nach Abschluss der Opera omnia, ganz aus der Förderung der Cusanus-Forschung verabschiedet.
Im Oktober 2010 gründete Johannes Helmrath an der Humboldt-Universität zu Berlin, an der er seit 1997 lehrt, die Forschungsstelle „Acta Cusana“. Die Humboldt-Universität stellte die hierfür notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung, erwarb eine Institutslizenz für das Editionsprogramm „Classical Text Editor“ und besetzte eine Mitarbeiterstelle mit Dr. Thomas Woelki. Hierdurch wurde es möglich, auf der Grundlage der von Hallauer und Meuthen geleisteten Vorarbeiten, die erste Lieferung von Band II zu einem zügigen Abschluss zu bringen.
Nach Erscheinen von Band II, 1 im Jahre 2012 mussten die Vorbereitungen für die nächsten Faszikel zunächst mit reduziertem Aufwand weitergeführt werden; Thomas Woelki absolvierte zur gleichen Zeit das Studienreferendariat für das Lehramt. Seit September 2014 wird das Projekt als DFG-Langfristvorhaben gefördert. Die Berliner Forschungsstelle der Acta Cusana ist seither mit einer vollen Mitarbeiterstelle und einer studentischen Hilfskraft ausgestattet. Somit konnte bereits im Frühjahr 2016 die zweite Lieferung des zweiten Bandes zum Abschluss gebracht werden.