Biographie und Epochenbild
Ein Werk wie die Acta Cusana wäre über kaum eine andere Person des 15. Jahrhunderts in vergleichbarer Weise machbar. Den Acta Cusana kommt daher hohe exemplarische Bedeutung auch für das zu, was im Biographischen überhaupt an Editionen und Regesten auf höchstem wissenschaftlichen Standard möglich ist.
Die Acta Cusana ordnen sich zum einen in eine internationale Forschung zu Nikolaus von Kues ein, die in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, in Wissenschaftshistorie und Philosophie derzeit in erstaunlichem Umfang expandiert. Sind sie für die historische und biographische Forschung zu Nikolaus von Kues ohnehin die unverzichtbare Basis, geht ihre Bedeutung zum anderen jedoch weit über Person, Leben und Werk des Cusanus hinaus. So sind die erschienenen Teilbände I, 1 und I, 2 (1401-1450) wegen ihrer zahlreichen Texte und Bezüge zum Basler Konzil (1431-1449), zur Rede- und Schriftpraxis des Juristen Cusanus und seiner Gegner für die Konzilien- und Gelehrtenforschung zu grundlegenden Quellenwerken avanciert. Band I, der in zwei Teilbänden (Lieferung 3a und 3b) die große Reform-Legation des Kardinals Nikolaus von Kues durch Mitteleuropa umfasst (1451/52), wurde dank der von Erich Meuthen erstmals erschlossenen weitverzweigten Überlieferung geradezu zu einem Fokus und repräsentativen Querschnitt für nahezu alle Felder von Kirche, Reform, Diplomatie wie Frömmigkeitspraxis des Spätmittelalters: vom Ablass bis zu blutenden Hostien, von Exkommunikation bis zur Reform der Orden, vom Konkubinat des Klerus bis zu Fragen der Pfarrinkorporation etc. Teilband II, 1 bildet mit seiner stärkeren Radizierung auf Cusanus’ Bistum Brixen ein ebenso singuläres Beispiel für die Feinstruktur eines spätmittelalterlichen Bistums, die Techniken und Probleme seiner Verwaltung, die praktische Umsetzbarkeit tiefgreifender Reformen des christlichen Lebens und auf politischer Ebene das Ringen um Überleben geistlicher Landesherrschaften in Konkurrenz mit mächtigen, dynastisch und territorial eng verflochtenen Akteuren, wie in diesem Fall dem Herzog von Tirol.
Zum Charakter von Editionen
Edieren bedeutet, historische Grundlagenforschung zu betreiben. Editionen leisten einen methodisch avancierten Beitrag zur Geschichtsforschung, sie bedeuten Arbeit am kulturellen Gedächtnis. Editionen sind mehr als Transkription oder ‚Abdruck‘ von Texten. Sie erzeugen durch Textkritik, Kommentierung, Komposition, Handhabbarkeit sowie drucktechnische Ästhetik ihrer Produkte einen erheblichen wissenschaftlichen Mehrwert. Synthetische Editionen wie die Acta Cusana, die nicht eine vorhandene serielle Quelle oder einen einzigen Quellentyp aufbereiten, sondern heterogene Texttypen allererst zusammentragen und proportionieren, sind in diesem Sinne Konstruktionen von Geschichte, die deren künftige Erforschung nachhaltig bestimmen. Die Tätigkeit des Editors hat daher auch wesentliche Züge von Autorschaft.
Vorarbeiten und Voraussetzungen
Der ehrgeizige Anspruch einer möglichst vollständigen Erfassung des Quellenmaterials beinhaltete von Anfang an beträchtliche Risiken, vor allem im Hinblick auf die im Laufe der Jahrzehnte immer weiter voranschreitende und längst nicht abgeschlossene systematische Erfassung des potentiell relevanten Archivmaterials. So förderte die aufwändige und langanhaltende Recherche Meuthens und Hallauers immer wieder überraschende Neufunde zu Tage, welche einerseits zwar den Entdeckergeist der Editoren anspornte, andererseits aber die Tendenz verstärkte, vor bzw. auch statt der Fertigstellung der Edition immer weitere systematische Nachsuchen anzustellen. Dieser Sorgfalt und Skrupulosität der Alteditoren ist es freilich wiederum zu verdanken, dass die Materialsammlung die Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums in sehr großer Dichte dokumentiert.
Archiv und Handbibliothek
Qualität und Stand der Vorarbeiten sind also beträchtlich, der Umfang der bereits in der Berliner Forschungsstelle sur place befindlichen und benutzbaren Materialien ohne Vergleich. Sie bieten beste Voraussetzungen für das Gelingen des Langzeitprojekts. Das ‚Berliner‘ Cusanus-Archiv der ‚Acta Cusana‘ setzt sich aus den Materialien zusammen, die Erich Meuthen und Hermann Hallauer in den Jahrzehnten ihrer Such- und Forschungsarbeit gesammelt und partiell vorbearbeitet haben. Das Archiv umfasst Handschriftenkopien, -verfilmungen, Transkriptionen aus ca. 300 Archiven und Bibliotheken Europas und der USA. Der größere Teil stammt aus dem Besitz von Hermann Hallauer, der 2010 der Überführung von Bad Godesberg nach Berlin zustimmte. Teile der Materialien aus dem Besitz von Erich Meuthen befinden sich im Archiv der Universität zu Köln und sind den Bearbeitern unter privilegierten Bedingungen jederzeit zugänglich. Der weitaus größte Teil des ‚Kölner‘ Materials ist freilich durch Meuthens Band I, 1-3 bereits vorgelegt worden.
Das Archiv der ‚Acta Cusana‘ ist seinem Umfang nach auf der Welt einzigartig. Es wird von Cusanus-Forschern international zunehmend wahrgenommen und kann mit Erlaubnis der Herausgeber genutzt werden. Herzstück des Archivs ist die chronologische Kartei aller in den Acta Cusana edierten bzw. zu edierenden Stücke und der jeweils dazugehörigen Handschriften- und Drucküberlieferungen, die in der Regel eben im eigenen Archiv der Acta Cusana in Kopie bereits vorhanden sind. Die Kartei umfasst auf über 20.000 Karteikarten die über 3.500 bisher edierten und die ca. 7.000 noch zu edierenden Stücke.
Eine weitere Grundlage besteht darin, dass aus den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Vorarbeiten zu einzelnen Nummern schon bestehen. Diese Vorarbeiten besitzen freilich einen sehr unterschiedlichen Aggregatszustand, einige wenige Stücke sind bereits weitgehend bearbeitet (10%), das Gros lediglich in unterschiedlich gediehenen Ansätzen (60%), viele Stücke auch noch gar nicht (ca. 30%). Der Prozentsatz der auf Archivreisen und durch künftig erscheinende Publikationen der internationalen Forschung neu bekannt werdenden und zur Edition hinzukommenden Stücke dürfte 10% kaum übersteigen.
Die ca. 450 Bände sowie etwa 1.500 Sonderdrucke und Aufsatzkopien umfassende Cusanus-Handbibliothek der Arbeitsstelle wuchs aus den Privatbibliotheken der Voreditoren Meuthen und Hallauer und Leihgaben des Felix Meiner Verlags zusammen. Es dürfte eine der umfangreichsten Spezialsammlungen zu Cusanus in Deutschland sein.
Ziele
Bis 2025 soll die Edition der Acta Cusana fortgeführt und zum Abschluss gebracht werden. Dies beinhaltet, anknüpfend an die umfangreichen Vorarbeiten der ehemaligen Editoren Erich Meuthen und Hermann Hallauer, die ergänzende Erschließung, Transkription, editorische Aufarbeitung und Kommentierung sowie den druckfertigen Textsatz der Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues vom Juni 1453 bis zum August 1464. Die Edition der beiden noch teilweise oder ganz ausstehenden Bände II und III erfolgt in straffer Folge in voraussichtlich zehn Lieferungen zu jeweils circa 200-250 Seiten. Hinzu kommen für beide Bände jeweils eine Lieferung mit Bibliographie und einem umfassenden Personen-, Orts- und Sachregister, das für die Benutzung der Bände unerlässlich ist.
Die kommenden Projektabschnitte entnehmen Sie bitte der Seite „Einzelbände„.